Operation Libero Pink

Mit einem Ja zum Stromgesetz den Anschluss an Europa wieder finden

Auch beim Thema Strom stehen wir bei der Zusammenarbeit mit Europa an einem Scheideweg. Die EU hat mit dem “Fit for 55”- und dem “REPowerEU”-Programm das Tempo beim Zubau von Erneuerbaren weiter erhöht und setzt sich ehrgeizige Ziele. In der Schweiz hingegen ist in den letzten Jahren relativ wenig passiert. Wir liegen beim Zubau weit hinter vielen Ländern der EU zurück. Überaus düster sieht es beim Zubau im Bereich Windstrom aus, dort gehören wir zu den Schlusslichtern in Europa. Aber auch beim Solarstrom liegen wir weit weg von der Spitze.  

Mit einem Ja am 9. Juni zum Stromgesetz können wir das ändern und gemeinsam mit der EU einen weiteren Schritt in Richtung einer 100 % erneuerbaren Energieversorgung in Europa machen.

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Das Schweizer Stromnetz ist stark mit dem europäischen Stromnetz verbunden. Am 15. Mai 1958 wurden in Laufenburg erstmals die Stromnetze der Schweiz, von Deutschland und Frankreich zusammengeschaltet. So wurde das europäische Stromnetz ins Leben gerufen – ein Meilenstein für die Versorgungssicherheit in Europa und Grundstein für die heutige zuverlässige Elektrizitätsversorgung.  

Durch den grenzüberschreitenden Stromhandel ist es auch möglich, den günstigen Wind- und Solarstrom von unseren Nachbar*innen einzukaufen, wenn diese Überschüsse haben und die Produktion bei uns gerade aufgrund des aktuellen Wetters nicht optimal läuft. 

Im Sommer erwarten wir aufgrund der Solarstromproduktion in der Schweiz weiterhin Überschüsse. Diese können wir dann z.B. nach Deutschland liefern, da Deutschland aufgrund der nördlicheren Lage weniger Ertrag pro Fläche bei Solarstrom hat und daher sehr stark auf Windstrom setzt. Windkraftanlagen produzieren vor allem im Winterhalbjahr und Photovoltaik-Anlagen im Mittelland vor allem im Sommerhalbjahr Strom. Aufgrund unterschiedlicher geografischen Gegebenheiten und Wetterunterschiede zwischen den Ländern ist eine gute Einbindung in den europäischen Strombinnenmarkt entscheidend für eine effiziente und kostengünstige Energiewende. 

Doch auch beim Strommarkt drohen wir den Anschluss zu verpassen. Die EU setzt den Strombinnenmarkt schrittweise um. Das nächste Paket (Nummer 4, Clean Energy Package) ist aktuell in Umsetzung. Darin wird unter anderem die Verwendung des Stromnetzes für den Binnenmarkthandel bis zum 31. Dezember 2025 neu geregelt. Durch diese neue Regelung wird der Handel zwischen Teilnehmer*innen am Strombinnenmarkt priorisiert, wohingegen Nicht-Teilnehmer*innen mit den Überbleibseln auskommen müssen und nicht in die Planung und Netzregelung eingebunden werden. 

Die Schweiz hat es bis heute nicht geschafft, am Strombinnenmarkt teilzunehmen, da das entsprechende Abkommen aufgrund der ungelösten institutionellen Fragen mit der EU nie abgeschlossen werden konnte. Das Verhandlungsmandat für die Bilateralen III umfasst unter anderem die Verhandlung über eine Teilnahme am Strombinnenmarkt. Um den Bundesrat bei diesen Verhandlungen zu unterstützen, ist es wichtig, dass die pro-europäischen Kräfte jetzt aktiv ihre Unterstützung zeigen. 

Da wir für das Erreichen des beschlossenen Netto-Null-Ziels 2050 den Verbrauch von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas auf ein Minimum beschränken müssen, ist eine Elektrifizierung in den Bereichen Mobilität, Wohnen, Industrie zwingend notwendig. Dafür werden wir voraussichtlich mehr Strom brauchen als heute, und überdies klimaneutral produzierten. Aber nicht nur zu diesem Zweck müssen wir erneuerbare Energien ausbauen, zusätzlich sind die AKWs (jährlicher Beitrag an Energieproduktion von ca. 30 %) in der Schweiz schon sehr alt und müssen in den nächsten Jahren durch neue Produktionskapazitäten ersetzt werden.

Daher geht es bei der Abstimmung zum Stromgesetz auch darum, ob wir die Ziele aus dem Klimaschutzgesetz erreichen können oder nicht. Es ist also ein erster Test, ob das Klimaschutzgesetz auch durch konkrete Massnahmen umgesetzt wird oder nicht. Ein Scheitern dieser Vorlage würde den Ausbau der Erneuerbaren in der Schweiz wohl auf Jahre hinaus praktisch verunmöglichen und damit die Energiewende abbrechen,  bevor sie richtig begonnen hat. Ein Nein würde die Schweiz auch zu einer Geisterfahrerin in der europäischen Klimapolitik und Stromlandschaft machen. Die EU hat mit dem “Fit for 55”-Programm ein ambitioniertes Programm für Klimaschutz definiert und mit dem “REPowerEU”-Programm die Ziele für den Zubau von Erneuerbaren nochmals erhöht. Dadurch wird die Stromproduktion zunehmend dezentralisiert und das Stromnetz auf Flexibilität getrimmt. Ein Festhalten an alten Konzepten wird nicht mehr lange möglich sein.

Zuerst einmal legt das Stromgesetz analog zum Klimaschutz-Gesetz Ziele und Zwischenziele fest. Bei der Stromproduktion sind es folgende Ziele:

  • Ausbau neue Erneuerbare bis 2035 auf 35 TWh und 2050  auf 45 TWh
  • Ausbau Wasserkraft bis 2035 auf 37,9 TWh und bis 2050 auf 39,2 TWh
  • Zusätzliche Winterstromproduktion 6 TWh bis 2040
  • Begrenzung des Stromimports im Winter auf 5 TWh.

In den letzten 20 Jahren hat der jährliche Stromverbrauch immer etwas unter 60 TWh betragen. Im Jahr 2022 wurden in der Schweiz 58 TWh Strom produziert. Davon entfielen 23 TWh auf AKWs. Knapp 5 TWh wurden durch neue Erneuerbare beigesteuert. 53 % der Stromproduktion wurde durch die Laufwasserkraftwerke und Speicherwasserkraftwerke beigesteuert. Die neuen Erneuerbaren leisten, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, in der Schweiz also einen noch kleinen Beitrag.
Zusätzlich werden auch noch Effizienzziele definiert. Der Energieverbrauch pro Person soll im Vergleich zum Jahr 2000 um 43 % bis 2035 und um 53 % bis 2050 sinken. Die Ziele werden laufend überwacht, sodass eine Zielverfehlung früh identifiziert werden kann und so darauf reagiert werden kann.

Um einen möglichst raschen Zubau zu erreichen, sind Investitionsbeiträge für PV, Wasserkraft, Biomasse, Wind oder gleitende Marktprämie (gemäss Referenz-Gestehungskosten beim Bau) vorgesehen. Die Finanzierung soll über den bereits bestehenden Netzzuschlagsfond erfolgen.

Heute ist es in der Schweiz extrem schwierig Windkraftanlagen oder grosse PV-Anlagen zu errichten. Daher soll es für Anlagen, die für die Versorgung wichtig sind, ein schnelleres und konzentriertes Verfahren geben. Ebenso sollen die Interessen von Heimatschutz und Landschaftsschutz zurückgestellt werden, sofern es sich nicht um besonders schützenswerte Standorte handelt.

Auch für kleine private Anlagen sind Verbesserungen vorgesehen. So soll grundsätzlich keine Baubewilligung mehr notwendig sein für die Installation von PV auf dem Dach oder an der Fassade. Für die langfristige Investitionssicherheit wird zudem eine Minimalvergütung für die Einspeisung vorgesehen, sodass mehr private Gebäudeeigentümer investieren. Mit der Möglichkeit zum Zusammenschluss von mehreren privaten Produzent*innen für den Eigenverbrauch wird zudem ein weiterer Anreiz geschaffen

Im Bereich der Stromtarife werden auch gewisse Massnahmen vorgesehen. So wird heute aktuell der liberalisierte Strommarkt teilweise querfinanziert aus der Grundversorgung. Dies wird mit einem Systemwechsel bei der Preisberechnung eliminiert. Das Standardprodukt in der Grundversorgung muss zudem neu immer auf inländischen erneuerbaren Stromproduktionsanlagen basieren. Damit Verbraucher*innen auch eine Möglichkeit haben, ihren Verbrauch aktiv zu überwachen und unnötigen Verbrauch zu eliminieren, soll eine zeitnahe digitale Übersicht angeboten werden müssen.

Zusätzlich schafft das Gesetz auch die Grundlagen für die Energiereserve für kritische Versorgungssituationen, sodass es im Winter auch in den Jahren, bis wir den Zubau geschafft haben, nicht zu Stromabschaltungen oder Ausfällen kommt.

Mit einem Ja zum Stromgesetz am 9. Juni ermöglichen wir, dass die Schweiz in Zukunft mit 100 % erneuerbarer Energie versorgt werden kann. Die EU hat auch diesen Weg gewählt und ein Abseitsstehen würde uns sowohl hohe Strompreise als auch eine tiefe Versorgungssicherheit bringen und dadurch unsere Zukunft und unseren Wohlstand gefährden. Mit einem Ja zur Europa-Initiative können wir eine Teilnahme am Strombinnenmarkt wahrscheinlicher machen. Mit einem Ja zur Europa-Initiative können wir für eine reibungslose Umsetzung der grünen Transformation sorgen.


Verfasser*innen: Nicole Waechter und Dominic Ullmann

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